|
|
13.05.2024 |
Pflichten der Zivilrichter: Hinweispflichten des Gerichts: Folgen der Pflichtverletzung |
|
I. Pflichten der Zivilrichter
Der Zivilrichter trägt im Prozess eine wichtige Verantwortung und hat verschiedene Pflichten. Hier sind einige davon:
1. Neutralität und Unparteilichkeit: Der Zivilrichter muss unvoreingenommen und neutral agieren, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.
2. Verfahrensleitung: Der Richter leitet den Prozess und sorgt dafür, dass die Verhandlung geordnet abläuft. Er kann Zeugen befragen, Beweise prüfen und die Verhandlung steuern.
3. Hinweise an die Parteien: a) Belehrung über Rechte und Pflichten: Der Richter muss die Parteien über ihre Rechte und Pflichten informieren, z. B. das Recht auf Akteneinsicht oder die Pflicht zur Wahrheit.
b) Hinweise zur Klagebegründung: Wenn die Klage unzureichend begründet ist, muss der Richter darauf hinweisen und die Partei auffordern, die Klage zu präzisieren.
c) Hinweise zur Beweisführung: Der Richter kann Hinweise zur Beweisführung geben, z. B. welche Beweismittel notwendig sind oder wie sie vorzutragen sind.
4. Hinweise an die Streitparteien: a) Hinweise zur Vergleichsbereitschaft: Der Richter kann die Parteien ermutigen, einen Vergleich zu suchen, um den Prozess zu verkürzen.
b) Hinweise zur Vermeidung von Prozessfehlern: Der Richter sollte auf mögliche Fehler hinweisen, z. B. wenn eine Frist versäumt wurde oder ein Antrag nicht korrekt gestellt wurde.
5. Hinweise an die Öffentlichkeit: Der Richter kann Hinweise an die Öffentlichkeit geben, z. B. über den Verlauf des Prozesses oder die Bedeutung des Falls. Die Form der Hinweise kann mündlich während der Verhandlung oder schriftlich in Beschlüssen erfolgen. Die genaue Art und Weise hängt von den Umständen des jeweiligen Falls ab¹.
II. Hinweispflichten des Gerichts
Das Gericht hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend ge-machten Tatsachen ergänzen, § 139 (1) S.2 ZPO. Eine Verletzung stellt einen Verfahrens-mangel dar. Es gilt das Gebot der Waffengleichheit, ZPO Putzo § 139 Rnr. 3. Die Hinweispflicht gilt auch, wenn die andere Seite anwaltlich vertreten ist. Auf rechtliche Bedenken muss das Gericht hinweisen. Es gilt das Verbot der Überraschungsentscheidung des Gerichts. Das Gericht muss darauf hinweisen, wenn eine Partei etwas erkennbar übersehen hat oder irrtümlicherweise für unerheblich hält. Auf sachdienliche Anträge muss der Gericht hinweisen.
Folgen bei Rechtsmittel: Die Einlegung eines Rechtsmittels setzt voraus, dass die Partei im Einzelnen vorträgt, wie sie auf den Hinweis – wäre er pflichtgemäß erteilt worden – reagiert hätte (BAG NZA 08, 1206). Im Beru-fungsverfahren wirken sich Verstöße gegen § 139 durch die 1. Instanz iRv § 529 I Nr 1 und § 531 II Nr 2 aus, so dass neu vorgetragene Tatsachen oder neue Angriffs- oder Verteidigungs-mittel aufgrund des fehlenden Hinweises in der 1. Instanz zuzulassen sind (BGH NJW-RR 05, 213)
Fazit: Laut § 139ZPO und der Rechtsprechung müssen die Gerichte frühzeitig das Verfahren steuern und auf eine vollständige Erklärung der Parteien hinwirken und das auch mit Hinweisen be-gleiten. Wenn eine Klage verloren geht und im Urteil steht, dass bestimmte Sachen gar nicht vorgetragen wurden, hätte das Gericht auf das Fehlen wichtiger Punkte vorher hinweisen müssen.
III. Verstöße gegen das rechtliche Gehör
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein grundrechtsgleiches Recht, das in Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) verankert ist. Dieser Anspruch bedeutet, dass jeder vor Gericht das Recht hat, angehört zu werden. Es geht nicht nur darum, dass Aussagen der streitenden Parteien gehört werden, sondern auch inhaltlich gewürdigt und bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden müssen¹.
Ein wissentlicher Verstoß gegen das rechtliche Gehör kann eine Verletzung des § 823 BGB darstellen. Wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der Verfahrensbestimmung die Bedeutung oder Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt hat, liegt ein Verstoß vor.
Ein Beispiel ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) mit dem Aktenzeichen VI ZR 298/12. Der BGH hat sich mit den Anforderungen an eine Verletzung des rechtlichen Gehörs befasst. Erforderlich ist, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und mithin in krasser Weise verkannt worden ist.
Bringt eine Partei auf einen richterlichen Hinweis ein neues entscheidungserhebliches Angriffs- oder Verteidigungsmittel vor, ist dies der anderen Partei mitzuteilen und das Vorbringen, mit dem diese dem neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegentritt, gleichfalls zu berücksichtigen, BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 III ZR 184/22 in Anwaltsblatt 2/2024 S. 145.
Hermann Kulzer MBA Rechtsanwalt |
|
Verfasser: Hermann Kulzer MBA Rechtsanwalt |
|
zurück |
|
|