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Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit

1. Woher kommt Begriff?
Solvendo non esse (lat.) = zahlungsunfähig sein

2. Wie definierte die alte Rechtsprechung (BGH von 1956) Zahlungs-unfähigkeit?
"Zahlungsunfähigkeit ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, dauernde Unvermögen des Schuldners, seine sofort fälligen Geldschulden im wesentlichen zu begleichen".

3. Wie wird Zahlungsunfähigkeit aktuell definiert in § 17 Abs. 2 InsO?
"Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen."
In der Regel ist von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungsunfähigkeit ist im Rahmen des § 17 InsO immer Geldilliquidität.
Zu den baren Zahlungsmitteln sind alle Vermögensgegenstände zu zählen, die kurzfristig liquidierbar sind.

4. Was sagt der Bundesgerichtshof?
Der BGH hat entschieden, dass für die Zahlungsunfähigkeit bereits genügt, wenn weniger als 10 % der fälligen Schulden offen bleiben und nicht innerhalb der nächsten drei Wochen nachbezahlt werden können. Die Zahlungsunfähigkeit ist ein Insolvenzgrund gemäß § 17 InsO.

5. Wie beurteilt man die Zahlungsunfähigkeit?
Es gibt einen Prüfungsstandard zur Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit.
Die Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt, erfolgt auf Grundlage eines Finanzstatus und eines darauf aufbauenden Finanzplans.
Wenn der Finanzstatus keine Liquiditätslücke ausweist, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor.
Wenn der Finanzstatus zeigt, dass am Stichtag die fälligen Verbindlichkeiten mit den zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln nicht bedient werden können, liegt eine Zahlungsunfähigkeit nicht vor, wenn auf Basis des Finanzplans davon ausgegangen werden kann, dass die Liquiditätslücke innerhalb des vom Bundesgerichtshof zugestandenen Prüfungszeitraums von drei Wochen zumindest bis auf einen geringfügigen Rest ausgeglichen wird.
Daher ist die Beurteilung der Liquiditätslage zum Stichtag auf der Grundlage des Finanzstatus durch eine Beurteilung des künftigen Entwicklung auf der Grundlage eines Finanzplans zu ergänzen.

6. Wer prüft die Zahlungsunfähigkeit?
Idealerweise muss der Geschäftsführer die Zahlungsfähigkeit regelmäßig prüfen- erst recht in Krisensituationen. Die zusätzliche Einschaltung von insolvenzrechtlich versierten Rechtsanwälten ist dringend angeraten.

7. Sind bei der Beurteilung auch künftige fällige Verbindlichkeiten in die Betrachtung einzubeziehen?
Es gibt Auffassungen, die bei der Beurteilung des Zahlungsunfähigkeit auf der Passivseite nicht nur die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten einstellen, sondern auch die innerhalb der nächsten drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten- die sogenannten Passiva II.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind "im Rahmen einer Liquiditätsbilanz die aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel in Beziehung gesetzt zu den an demselben Sticktag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten" bzw .es sind die "im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten." (BGH IX ZR 228/03)

Daraus leiten einige Gerichte und Teile der Literatur ab, dass die Passiva II nicht in die Liquiditätsbilanz einzustellende Passiva sind. Nach Auffassung von Nickert Lamberti in Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung im Insolvenzrecht 2. Auflage trifft diese Auffassung nicht zu. Es ist daher jeweils die neueste Rechtsprechung und Literatur zu prüfen und Fachleute zu Rate zu ziehen.

8. Was sind die Gefahren der Zahlungsunfähigkeit?
Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sind eine Vielzahl von geleisteten Zahlungen und gestellten Sicherheiten anfechtbar, §§ 130, 131 InsO.
Für alle Zahlungen nach Insolvenzreife droht dem Geschäftsführer die persönliche Haftung und die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung.
Der Rechtsanwalt einer insolventen Kapitalgesellschaft ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass diese bei Zahlungsunfähigkeit den fälligen Insolvenzantrag auch stellt, vgl BGH, IX ZR 289/99; ZIP 2001, 33

9. Wie kann die Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden?

Aktivseite
  • Verbesserung Inkasso offenen Forderungen
  • Verkauf von nicht benötigtem Anlagevermögen
  • Sonderverkäufe aus dem Warenlager
Passivseite
  • Verängerung Zahlungsfristen; Stundungsvereinbarung
  • Erhöhung Kreditrahmen
  • Gesellschafterdarlehen
  • Sale-and-lease-back
  • Verzicht auf Entgeltbestandteile durch das Personal
  • Bürgschaften und Fördermittel durch die öffentliche Hand

10. Zivilrechtsakzessorietät
Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit im Insolvenz- und Strafrecht ist identisch. Es besteht eine strenge Zivilrechtsakzessorietät, vgl. Bieneck, in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht § 75 Rn. 48; Nickert Lamberti Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung im Insolvenzrecht 2. Auflage Randnummer 1033. Es wäre im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung systemwidrig, wenn das Strafrecht die Zahlungsunfähigkeit anders beurteilen würde als das Zivilrecht.

Für Fragen zur Zahlungsunfähigkeit und zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit stehen wir gerne zur Verfügung.


01.03.2021 < Zahlungsunfähigkeit: zivil- und strafrechtliche Beurteilung, Definition, Dreiwochenfrist, Passiva II, Insolvenzverschleppung
Information

A. Was ist neu in 2021

1. Das neue SanInsFoG

Ende 2020 hat der deutsche Gesetzgeber ein Gesetz zur Fortentwicklung des Insolvenz- und Sanierungsrechts verabschiedet - das SanInsFoG, das am 1.1. 2021 in Kraft getreten ist.
Dort erfolgte auch eine Anpassung zentraler Bestimmungen des Insolvenzrechts unter Berücksichtigung der Erfordernisse einer modernen Sanierung auf Grund der Corona- Pandemie. 

2. Zeitpunkt der Insolvenzantragspflicht

Bei dem Vorliegen des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung muss nach § 15a InsO unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden. Wenn dies der Geschäftsführer unterlässt, werden Haftungstatbestände ausgelöst.

Geändert hat sich, dass der Insolvenzantrag bei einer Überschuldung jetzt spätestens in sechs Wochen zu stellen ist. Bei dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit bleibt es - wie bisher - bei (höchstens) drei Wochen. Diese Fristen können nur ausgeschöpft werden, wenn die Sanierung noch möglich - also nicht aussichtslos ist. 

3. Abgrenzungen und Prognosen

Das SanInsFoG grenzt die drohende Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung ab und legt verbindlich einen Zeitraum zur Prüfung der Liquidität fest.

Das SanInsFoG beachtet auch die Corona-Pandemie und beschränkt den Zeitraum zur positiven Fortbestehensprognose.

4. Haftungserleichterungen nach § 15b InsO

Geschäftsführer haben nun mehr Klarheit, welche Zahlungen sie nach Eintritt der Insolvenzreife noch leisten dürfen und welche nicht. 

B. Was gilt/galt nach altem Recht?

1. Lateinische Herkunft

Solvendo non esse (lat) = zahlungsunfähig sein

2. Wie definierte die alte Rechtsprechung (BGH von 1956)die Zahlungsunfähigkeit?

"Zahlungsunfähigkeit ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, dauernde Unvermögen des Schuldners seine sofort fälligen Geldschulden im wesentlichen zu begleichen".

3. Wie wird Zahlungsunfähigkeit definiert in § 17 Abs. 2 InsO?

"Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen". In der Regel ist von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungsunfähigkeit ist im Rahmen des § 17 InsO immer Geldilliquidität. 
Zu den baren Zahlungsmitteln sind alle Vermögensgegenstände zu zählen, die kurzfristig liquidierbar sind. 

4. Ernsthaftes Einfordern und Dreiwochenfrist
Der Bundesgerichtshof hat zahlreiche Einzelfragen zur Zahlungsunfähigkeit entschieden, die berücksichtigt werden müssen. Zwei wesentliche Entscheidungen nachfolgend:

  • Dreiwochenfrist

Der BGH hat entschieden, dass für die Zahlungsunfähigkeit bereits genügt, wenn weniger als 10 % der fälligen Schulden offen bleiben und nicht innerhalb der nächsten drei Wochen bezahlt werden können.

  • Ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten

Das Insolvenzgericht hat im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs.1 InsO)  Tatsachenbehauptungen des Schuldners oder anderen Anhaltspunkten nachzugehen, die konkret als möglich erscheinen lassen, dass der Gläubiger sich dem Schuldner gegenüber mit einer nachrangigen Befriedigung unter - sei es auch zeitweiligem - Verzicht auf staatlichen Zwang einverstanden erklärt hat. (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998)

Die Leitsätze des BGH lauten:


Eine Forderung ist in der Regel dann im Sinne von § 17 Abs.2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt.

Forderungen, deren Gläubiger sich für die Zeit vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit einer späteren oder nachrangigen Befriedigung einverstanden erklärt haben, sind bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 19. 7. 2007 - IX ZB 36/ 07
 
So lange der Gemeinschuldner seinen Verbindlichkeiten nachkommt, hat niemand das Recht, sich in seine Verhältnisse einzudrängen, ihn aus dem Besitz zu setzen und seine produktive Tätigkeit zu unterbrechen, möchte auch bei gleichzeitigem Andrängen aller Gläubiger sein Vermögen zur vollständigen Befriedigung derselben nicht ausreichen. Eine getroffene Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner darüber, dass die Forderung im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Schuldners beglichen werden kann, ändert zwar an der Fälligkeit der Forderung im Sinne von § 271  BGB nichts.
Die Forderungsgläubigerin kann aber zum Ausdruck bringen, dass sie weder eine bevorrechtigte Befriedigung im Rahmen des vollstreckungsrechtlichen Prioritätsprinzips noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners anstrebt, sondern je nach den finanziellen Möglichkeiten des Schuldners mit einer nachrangigen Befriedigung einverstanden ist.
Eine derartige Forderung kann dann nicht zur Begründung einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17  Abs. 1 InsO herangezogen werden.  

5. Wie beurteilt man die Zahlungsunfähigkeit?

Es gibt einen Prüfungsstandard zur Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit.
Die Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt, erfolgt auf Grundlage eines

  • Finanzstatus und eines darauf aufbauenden 
  • Finanzplans.

Wenn der Finanzstatus keine Liquiditätslücke ausweist, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor.
Wenn der Finanzstatus zeigt, dass am Stichtag die fälligen Verbindlichkeiten mit den zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln nicht bedient werden können, liegt eine Zahlungsunfähigkeit nicht vor, wenn auf Basis des Finanzplans davon ausgegangen werden kann, dass die Liquiditätslücke innerhalb des vom Bundesgerichtshof zugestandenen Prüfungszeitraums von drei Wochen zumindest bis auf einen geringfügigen Rest ausgeglichen wird. Daher ist die Beurteilung der Liquiditätslage zum Stichtag auf der Grundlage des Finanzstatus durch eine Beurteilung des künftigen Entwicklung auf der Grundlage eines Finanzplans zu ergänzen.

Mit IDW S 11 veröffentlichte das Institut Deutscher Wirtschaftsprüfer(IDW) in 2015 einen Standard zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung und drohenden Zahlungsunfähigkeit.
Darin werden – unter Berücksichtigung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung – auch im Schrifttum kontrovers diskutierte Zweifelsfragen aufgegriffen.
Das IDW nimmt eine insgesamt eher konservative Sichtweise ein: Nach IDW S 11 ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn es eine auch nur geringfügige Liquiditätslücke von wenigen Prozent der zum Stichtag fälligen Verpflichtungen auf Dauer nicht vollständig schließen kann. Entgegen der im Schrifttum zum Teil vertretenen Auffassung sind nach IDW S 11 in dem für die Beurteilung der Insolvenzreife erforderlichen Finanzplan auch künftige Zahlungsausgänge zwingend zu berücksichtigen.

Gegenüber dem Entwurf IDW ES 11 wurde neben einigen Klarstellungen eine Konkretisierung des Prognosehorizonts vorgenommen: Während bei der Überschuldungsprüfung regelmäßig das laufende und folgende Geschäftsjahr zu berücksichtigen sind, kann der Prognosehorizont bei der Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise dann kürzer sein, wenn zum Beurteilungsstichtag nur kurzfristige Verbindlichkeiten bestehen.
IDW S 11
ersetzte IDW PS 800 und IDW FAR 1/1996.

6. Wer prüft die Zahlungsunfähigkeit?
Idealerweise muss der Geschäftsführer die Zahlungsfähigkeit regelmäßig prüfen- erst recht in Krisensituationen. Die zusätzliche Einschaltung von Insolvenzrechtlich versierten Rechtsanwälten ist dringend angeraten.

7. Streitige Forderungen

Schwierig ist die Frage zu beantworten, ob und mit welchem Betrag streitige Forderungen mit in die Prüfung der Zahlungsfähigkeit einbezogen werden müssen, vgl. Nichert Lambertii  Begriff der Zahlungsunfähigkeit S.9.
Die Fälligkeit einer Forderung impliziert auch deren Durchsetzbarkeit, also ihre Freiheit von Einreden und Einwendungen, Graf Schlicker § 17 Rdnr. 7.

Soll heißen: Bei Einwendungen keine Fälligkeit?
Die Auffassung würde dazu führen, dass Schuldner mit vorgeschobenen und fadenscheinigen Argumenten den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit solange hinauszögern können, bis die künftige Insolvenzmasse "verbraucht" ist und schlimmstenfalls das Verfahren mangels Masse nicht eröffnet wird.

Ob streitige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen ist, soll von der Wahrscheinlichkeit ihrer Existenz bzw. der drohenden sofortigen Inanspruchnahme abhängen, vgl. Uhlenbruck in Karsten Schmidt/Uhlenbruck: Die GmbH in der Krise Rdnr. 5.25.
In der Literatur wird überwiegend vertreten, dass streitige Verbindlichkeiten je nach Wahrscheinlichkeit mit einem Schätzwert berücksichtigt werden müssen, Uhlenbruck a.a.O. und Nciert Lamberti S. 10.

Liegt über die streitige Forderung ein vorläufig vollstreckbarer Titel vor, war früher in der Literatur streitig, ob die Forderung allein auf Grund ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit als fällige Verbindlichkeit berücksichtigt werden muss.
Dies kann an dieser Stelle auf Grund der damit eingehenden Risiken nicht rechtssicher dargestellt werden. 

Es ist dringend anzuraten einen Rechtsanwalt/Fachanwalt aufzusuchen und dies prüfen zu lassen. 
Spätestens mit Einleitung der Vollstreckung hat sich jedoch die Frage geklärt.
Dann hilft dem Schuldner nur noch Sicherheit zu legen oder den Insolvenzantrag zu stellen.

Durch das Fordern oder Leisten von Sicherheit wird eine Verteilung des Insolvenzrisikos vorgenommen:
Darf der Kläger aus einem Urteil nur vollstrecken, wenn er in Höhe des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet, so muss der Beklagte nicht besorgen, dass der Kläger den beigetriebenen Betrag nach einer für den Beklagten erfolgreich durchgeführten Berufung nicht mehr besitzt. Spätestens bei Vorliegen eines vorläufig vollstreckbaren Urteils muss der Schuldner daher bezahlen, eine Sicherheit zur Abwehr der Vollstreckung leisten oder Insolvenz anmelden. Bei anderen Einwendungen und Einreden gegen die Forderung ist dringend ein Fachanwalt für Insolvenzrecht aufzusuchen zur Prüfung, ob diese Forderungen jetzt im Status angesetzt werden müssen oder nicht.

Im Zweifel gilt immer der Vorsichtsgrundsatz um strafrechtliche Sanktionen und eine persönliche Haftung zu vermeiden.

8. Sind bei der Beurteilung auch künftige fällige Verbindlichkeiten- sogenannten Passiva II-  in die Betrachtung einzubeziehen?

Früher war höchstrichterlich ungeklärt, ob bei der Beurteilung des Zahlungsunfähigkeit auf der Passivseite nur die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten einstellen, oder auch die innerhalb der nächsten drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten - die sogenannten Passiva II.
Dies war weder vom II. oder dem IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs noch durch den 1. bis 3 Strafsenat des BGH entschieden worden.

Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2003 sind im Rahmen einer Liquiditätsbilanz die aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel in Beziehung gesetzt zu den an demselben Sticktag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten bzw. es sind die "im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten" (BGH IX ZR 228/03).

In der Kommentierung wurde dies teilweise so ausgelegt, dass die Passiva II, also die im Dreiwochenzeitraum neu fällig werdenden Verbindlichkeiten,  nicht in die Liquiditätsbilanz einzustellende Passiva sind.

Nach der herrschenden Meinung im Schrifttum hingegen sollten auch die erst während der Dreiwochenzeitraums fällig werdenden Verbindlichkeiten des Schuldners (Passiva II) zu berücksichtigen sein, z.B. Bork in ZIP 2008, 1749 ff und Vorsitzender Richter am BGH a.D. Dr. Ganter ZInsO 2011, 2297 ff.


Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 19.12.2017 ( II ZR 88/16) diese Frage abschließend entschieden und klargestellt, dass auch die Passiva II bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit in die Prüfung einbezogen werden müssen. Damit hat er der Bugwellentheorie - dem Vorsichherschieben von Verbindlichkeiten- eine Absage erteilt.

In die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit aufzustellende Liquiditätsbilanz sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln(sogenannte Aktiva I) die innerhalb von 3 Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sogenannten Passiva II) in Beziehung zu setzen. Auch die innerhalb von 3 Wochen nach dem Stichtag fällg werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) sind bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen.

Das ist jetzt die richtige Darstellung:

Aktiva I + Aktiva II                                                                  
_________________  = Deckungsgrad  >  90 %                                                             

Passiva I + Passiva II                                  


9. Was sind die Gefahren der Zahlungsunfähigkeit?

  • Risiko Betrugsdelikte

Wer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit noch Geschäfte mit Dritten eingeht, beispielsweise Wareneinkäufe tätigt, erfüllt unter Umständen den Tatbestand des Betruges (§§ 263, 263, 265 b StGB). 

  • Anfechtbarkeit der Rechtsgeschäfte und Zahlungen

Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sind eine Vielzahl von geleisteten Zahlungen und gestellten Sicherheiten anfechtbar, §§ 130, 131, 133, 134  InsO.

  • Haftung des Geschäftsführers gegenüber dem Insolvenzverwalter

Für Zahlungen nach Insolvenzreife droht dem Geschäftsführer die persönliche Haftung und die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung. Zur Vertiefung: In seinem Urteil vom 25. 1. 2011 (NZI 2011) betrachtete der Bundesgerichtshof die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Zahlungen auf rückständige, zum Zeitpunkt ihrer eigentlichen Fälligkeit nicht beglichene, Sozialversicherungs- und Umsatzsteuerverbindlichkeiten.

  • Haftung des Geschäftsführers gegenüber Neugläubigern

Eine Neugläubigerin, die ihre Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin nach Eintritt der Insolvenzantragspflicht erworben hat, ist nicht auf die Geltendmachung eines Quotenschadens beschränkt. Beim Neugläubigerschaden bestimmt sich der Schaden nicht nach einem willkürlich herausgegriffenen Spitzenbetrag, sondern nach einem zu schätzenden Durchschnittsbetrag des durch die Verletzung der Insolvenzantragspflicht entstandenen Schadens, der dann vom Endsaldo zum Tag der Insolvenzantragstellung abzuziehen ist, OLG Koblenz, Urteil vom 09.12.2010 - 2 U 225/05,

  • Haftung des Beraters der GmbH

Der Rechtsanwalt einer insolventen Kapitalgesellschaft ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass diese bei Zahlungsunfähigkeit den fälligen Insolvenzantrag auch stellt, vgl BGH, IX ZR 289/99; ZIP 2001, 33 

  • Insolvenzverschleppung - insbesondere Fahrlässigkeit

Strafbar macht sich gemäß § 15 a IV InsO, wer einen Insolvenzantrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt. Nach § 15 a V InsO ist die fahrlässige Verletzung der Antragspflicht strafbar. Fahrlässigkeit liegt vor:
BGH ZIP 2012, 1557: einfache Fahrlässigkeit reicht; Verschulden wird vermutet. Der Geschäftsführer muss bei Anzeichen einer Krise für eine Organisation sorgen, die ihm die Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der GmbH oder AG oder UG ermöglicht: Eine betriebswirtschaftliche Auswertung allein reicht nicht, da in dieser keine Rückstellungen enthalten sind. 
BGHZ NJW 2012, 1174: Es muss qualifizierter Rat von Fachkundigen eingeholt werden, wenn persönliche Kenntnisse unzureichend sind.
BGH ZIP 2007, 2118: Bei Rat durch qualifiziertem Berufsträger kann dies zu einer Entlastung des Geschäftsführers führen.
Zusammenfassung: BGH vom 26.1.2016 II ZR 394/13 Rnr. 32 ff. 

10. Wie kann die Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden?

  • Aktivseite: Verbesserung Inkasso, Eintreiben offener Forderungen
  • Aktivseite: Verkauf von nicht benötigtem Anlagevermögen
  • Aktivseite: Sonderverkäufe aus dem Warenlager
  • Passivseite: Verlängerung Zahlungsfristen; Stundungsvereinbarung
  • Passivseite: Erhöhung Kreditrahmen
  • Passivseite: Gesellschafterdarlehen
  • Passivseite: Sale-and lease back
  • Passivseite: Verzicht auf Entgeltbestandteile durch das Personal
  • Passivseite: Bürgschaften und Fördermittel durch die öffentliche Hand

11. Eine Entscheidung des BGH: penible Darstellung des Strafgerichts erforderlich

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vier Fällen des Bankrotts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. 

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die Feststellungen tragen den Schluss der Kammer, der Angeklagte habe im Sinne von § 283 Abs. 2 StGB durch vier Auszahlungen in Höhe von je 500.000 Euro jeweils die Zahlungsunfähigkeit der A. GmbH herbeigeführt, nicht.

Weder enthalten die Feststellungen ein Rechenwerk, das die Auswirkungen dieser Abflüsse auf die Zahlungsunfähigkeit der später in Insolvenz geratenen GmbH konkret belegt, noch kann dies den Urteilsgründen im Übrigen entnommen werden.

In dem vom Bundesgerichtshof (Strafsenat) Ende 2016 entschiedenen Fall stützte sich die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auf die Angaben des Insolvenzverwalters, der im Strafprozess als Zeugen vernommen wurde.  Dieser hat über die Unterdeckungsquote zu verschiedenen Stichtagen ausgesagt.

Der Sachberarbeiter des Landeskriminalamtes  konnte aufgrund der fehlerhaften Buchhaltung keinen Liquiditätsstatus berechnen. Eine konkrete stichtagsbezogene Gegenüberstellung fehlte also.

Dennoch hat das Strafgericht der Angeklagten verurteilt und das Bestehen einer Zahlungsunfähigkeit für einen längeren Zeitraum als drei Wochen als erwiesen angesehen.

Nach Ansicht des BGH erfolgt die Verurteilung zu Unrecht.
Zwar bestätigte er, dass eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden liquiden Mittel andererseits zum Zwecke des Tatnachweises der Insolvenzverschleppung als Beweiserhebungsmethode des Strafgerichts zwar zulässig sei. 

Allerdings muss hierbei so penibel vorgegangen werden, dass die strafgerichtliche Darstellung der Liquiditätslage der Gesellschaft zu ausgewählten Stichtagen so aussagekräftig ist, dass eine nachträgliche Überprüfung – insbesondere durch ein Revisionsgericht – ohne weiteres möglich ist. Auch die Art und Weise der Berechnung bzw. der Rechenweg als solcher muss durch ein Revisionsgericht lückenlos nachvollzogen werden können.

Die Verteidigung kann daher durch eigenes Nachrechnen oder durch ein externes Gutachten solche Vorwürfe entkräften.

Für Hilfe zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit, Erstellung einer Liquiditätsbilanz und eines Finanzplanes, einer Risikovorsorge oder Verteidigung stehen wir Ihnen gerne professionell zur Verfügung.


Hermann Kulzer MBA
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Sanierungsmoderator
Insolvenzstrafverteidiger

Kulzer@pkl.com
Dresden
0351 8110233 

insoinfo
Verfasser: Hermann Kulzer MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
20.02.2020 < Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit bei der strafrechtlichen Prüfung einer Insolvenzverschleppung
Information 1. Entscheidung: BGH 1 StR 605/16 - Beschluss vom 10. Juli 2018 (LG Hof)

2. Thema: Begriff der Zahlungsunfähigkeit; Abgrenzung zur Zahlungsstockung

3. Normen: § 17Abs. 2 InsO; § 15 a InsO

4. Definition: Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. 

5. Betriebswirtschaftliche Methode: Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Strafprozess erfolgt in der Regel durch eine betriebswirtschaftliche Methode, die eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraussetzt (vgl. BGH NStZ- RR 2018, 216 ff).

6. Kriminalistische Methode: Das Strafgericht kann sich seine Überzeugung über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit auch auf der Grundlage wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen bilden.

7. Kennzeichen: Bei der wirtschaftskriminalistischen Methode spielen beispielsweise eine Rolle:
  • das Ignorieren von Rechnungen 
  • das Ignorieren von Mahnungen sowie 
  • gescheiterte Vollstreckungsversuche (BGH NJW 2014, 164).
8. Abgrenzung zur Zahlungsstockung: Die Zahlungsunfähigkeit ist von der bloßen, straftatbestandlich nicht genügenden Zahlungsstockung abzugrenzen (BGH NStZ-RR 2018, 216 ff).

9. Drei-Wochen-Frist: Die Abgrenzung setzt eine Prognose voraus, ob innerhalb einer Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit sicher zu rechnen ist, durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder Veräußerung von Vermögensgegenständen (BGH NJW 2014, 164).

10. Strafverteidiger: Ein guter Strafverteidiger muss wissen, wie man die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung richtig ermittelt. Er braucht vertiefte Kenntnisse im Insolvenzrecht, kaufmännische Kenntnisse und muss betriebswirtschaftliche Auswertungen und Bilanzen lesen können. In vielen Strafverfahren erfolgt die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nicht rechtsprechungskonform.
Dies eröffnet Verteidigungschancen.


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Verfasser: Hermann Kulzer MBA Fachanwalt Strafverteidiger 0351 8110233
17.05.2018 Ermittlung des Zahlungsfähigkeit oder der Zahlungsunfähigkeit / Tool und Hilfestellung
Information

Die Zahlungsfähigkeit ist eine der wesentlichen Punkte, die der Geschäftsführer einer GmbH oder Inhaber einer Einzelfirma im Blick haben muss.

Der Geschäftsführer einer GmbH muss jederzeit wissen, welche fälligen Verbindlichkeiten bestehen und welche liquiden Mittel er hat- ob also die fälligen Schulden gedeckt sind durch die liquiden Mittel oder innerhalb einer Drei-Wochenfrist gedeckt werden können.

Wenn die GmbH zahlungsunfähig ist und diese nicht innerhalb von 3 Wochen beseitigt werden kann, muss der Geschäftsführer unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen.

Verpasst er dies, droht die Gefahr wegen Insolvenzverschleppung verurteilt zu werden.

Bei einer Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat, darf der Geschäftsführer 5 Jahre kein Geschäftsführer mehr sein. Ferner droht die persönliche Haftung des Geschäftsführers für alle Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife.

Jetzt genug gedroht.

Es gibt einfache Abhilfe - ein einfaches von uns erstelltes Tool zur ständigen Kontrolle der Zahlungsfähigkeit oder zur Planung der Liquidität.

Das Tool ist aber auch geeignet rückblickend zu beurteilen, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hat.

Wir können Ihnen daher helfen, die Zahlungsfähigkeit zu kontrollieren und zu bewahren.

Wir können auch prüfen und begutachten, ob und wann die Gesellschaft zahlungsunfähig wurde.

Mit dem vorhandenen Fachwissen und dem Tool sind wir in der Lage auch Gutachten für Gläubiger, Insolvenzverwalter, Zivil- und Strafgerichte zu erstellen unter Berücksichtigung:

  • Stundungen
  • (nicht) ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten
  • streitige Forderungen
  • vorgenommene Sanierungsmaßnamen und deren Auswirkungen

Angebote:

1. Verkauf Excel-Tool (die Kunden bekommen eine CD ohne Installation lauffähig)

2. Verkauf Excel-Tool mit Anpassung und Einführung vor Ort (durch Techniker/mit Fachanwalt)

3. Einführung Liquiditätskontrolle im Unternehmen

4. Gutachten über die Zahlungs(un)fähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. Zeitraum

5. Unterstützung bei der Insolvenzantragstellung (gegebenenfalls in Eigenverwaltung) im Falle der Feststellung eines Insolvenzgrundes

 

Ansprechpartner und Kontakt:

Hermann Kulzer MBA, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Dresden

Roger Monstadt, Softewarebetreuer

Glashütterstraße 101 a

01277 Dresden

Te. 0351 8110233

Fax. 0351 8110244

www.pkl.com

www.insoinfo.de

Kulzer@pkl.com

 

 

insoinfo
Verfasser: Hermann Kulzer MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht
07.02.2018 Zahlungsunfähig/ Werden die Passiva II berücksichtigt?
Information

Bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit werden zum Stichtag die fälligen Verbindlichkeiten den liquiden Vermögenswerten gegenübergestellt. Wenn eine Unterdeckung von mehr als 10 Prozent vorhanden ist, muss man prüfen, ob diese Lücke innerhalb der nächsten drei Wochen ausgeglichen werden kann.

Dabei müssen die neuen Einnahmen betrachtet werden. Gleichzeitig musste man auch die neu entstehenden Verbindlichkeiten einbeziehen. Es war allerdings nicht höchstrichterlich entschieden, ob diese Passiva II einbezogen werden müssen oder ob dies nur aus Vorsichtsgesichtspunkten erfolgen soll.

Der BGH hat entschieden.

Es war der zweite Zivilsenat der Bundesgerichtshofs.

Leitsatz: 

Auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) sind bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen.)

 

Die Einbeziehung der Passiva II in die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO war bisher höchstrichterlich nicht geklärt und in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur umstritten.

 

1. Liquiditätsstatus
Nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sind in der Liquiditätsbilanz zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (vgl. Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 138 ff.; Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28; Urteil vom 14. Mai 2009 - IX ZR 63/08, ZIP 2009, 1235 Rn. 37; Urteil vom 29. März 2012 - IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 8; Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 19; Urteil vom 7. Mai 2013 - IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 15; Urteil vom 8. Januar 2015 - IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 13; Urteil vom 12. Februar 2015 - IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585 Rn. 18).

2. Teilweise Ablehnung der Einbeziehung in der Literatur 

In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamburg, BeckRS 2009, 25496) und in der Literatur wird die Einbeziehung der Verbindlichkeiten, die erst innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag entstehen, unter Berufung auf die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats teilweise abgelehnt (G. Fischer, Festschrift Ganter, 2010, S. 153, 158 ff.; Becker/Jansen/Müller, DStR 2009, 1660, 1661; Bruns, EWiR 2005, 767, 768).

3. Herrschende Literatur für Einbeziehung
Der weit überwiegende Teil des Schrifttums spricht sich für eine Einbeziehung der im Dreiwochenzeitraum fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten aus
(vgl. nur Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., vor § 64 Rn. 19; Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl., § 17 InsO Rn. 6; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 64 Rn. 48; MünchKommInsO/Eilenberger, 3. Aufl., § 17 Rn. 19 f.; Gehrlein in Gehrlein/ Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl., vor § 64 Rn. 9; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., vor § 64 Rn. 15; KK-InsO/Hess, § 17 Rn. 39; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl., § 17 Rn. 18; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., Anh. zu § 64 Rn. 13; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 17 Rn. 85; Mönning/Gutheil in Nerlich/Römermann, InsO, Stand: August 2014, § 17 Rn. 36; MünchKommGmbHG/Müller, 2. Aufl., § 64 Rn. 15; M. Schmidt-Leithoff/Schneider, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl., vor § 64 Rn. 105; HambKommInsO/Schröder, 6. Aufl., § 17 Rn. 16; Bork, ZIP 2008, 1749, 1751 ff.; Frystatzki, NZI 2010, 389, 390 f.; Ganter, ZinsO 2011, 2297, 2299 ff.; Hölzle, ZIP 2007, 613, 615; Krauß, ZinsO 2016, 2361, 2362 ff.; Pape, WM 2008, 1949, 1952; Plagens/Wilkens, ZinsO 2010, 2107, 2114 ff.; Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1010 f.; Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 172 ff.; Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2013, S. 151 ff.; Prager/Jungclaus, Festschrift Wellensiek, 2011, S. 101, 105 ff.; Kayser, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 6. Aufl., Kapitel I A.II.1. Rn. 16; ähnlich auch K. Schmidt in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 17 Rn. 23, 25, 29).

4. Begründung des Bundesgerichtshofs
Der Senat folgte der Auffassung, dass die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten des Schuldners bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO in Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung zu berücksichtigen sind.

(1) Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist insoweit unergiebig. Ihm ist bereits nicht zu entnehmen, ob bei der Beurteilung der Liquidität überhaupt künftige Entwicklungen einzubeziehen sind. Vielmehr könnte die Vorschrift rein wortlautmäßig auch im Sinne einer bloßen Stichtagsbetrachtung verstanden werden, bei der weder künftige Verpflichtungen noch erst künftig zur Verfügung stehende Mittel zu berücksichtigen sind (vgl. Ganter, ZinsO 2011, 2297, 2299; Graf-Schlicker/Bremen, InsO, 4. Aufl., § 17 Rn. 16 a.E.). 

(2) Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass der Begriff der Zahlungsunfähigkeit nicht rein stichtagsbezogen zu verstehen ist. Vielmehr ist auch die zeitliche Dauer einer etwaigen Liquiditätslücke zu berücksichtigen, um die Zahlungsunfähigkeit von einer nur vorübergehenden Zahlungsstockung abzugrenzen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung,BT-Drucks. 12/2443, S. 114). Nach Auffassung des Gesetzgebers braucht im Gesetz nicht besonders zum Ausdruck gebracht werden, dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründe, da es sich von selbst verstehe, dass ein Schuldner, dem in einem bestimmten Zeitpunkt liquide Mittel fehlen, der sich die Liquidität aber kurzfristig wieder beschaffen könne, im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO (damals § 21 InsO-E) in der Lage sei, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Einer näheren Definition der Zahlungsunfähigkeit in zeitlicher Hinsicht - ebenso wie hinsichtlich ihrer Größenordnung - hat der Gesetzgeber sich nach der weiteren Gesetzesbegründung bewusst enthalten, um einer übermäßig einschränkenden Auslegung des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit, etwa durch Annahme einer bloßen Zahlungsstockung auch bei einer über Wochen oder gar Monate fortbestehenden Illiquidität, entgegenzuwirken (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 114).

(3) Systematisch führt die Einbeziehung der im Dreiwochenzeitraum anfallenden weiteren Verbindlichkeiten zu keinen Abgrenzungsproblemen gegenüber der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO.

Zwar erfolgt die Prüfung der eingetretenen und der drohenden Zahlungsunfähigkeit damit anhand derselben Kriterien, da bei Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO nach allgemeiner Meinung entsprechend dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch erst künftig fällig werdende Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 114 f.; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 Rn. 10; Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 95/13, ZIP 2014, 1289 Rn. 33; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 18 Rn. 43 ff.).

Der Unterschied besteht jedoch darin, dass eingetretene Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn der Schuldner eine bereits am Stichtag vorhandene Liquiditätslücke von 10 % oder mehr nicht innerhalb von drei Wochen schließen kann, während eine solche Liquiditätslücke bei drohender Zahlungsunfähigkeit noch nicht besteht, sondern unter Berücksichtigung des weiteren Verlaufs voraussichtlich (erst künftig) eintreten wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 Rn. 10; Urteil vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rn. 11).

Damit verbleibt auch bei Berücksichtigung der Passiva II im Rahmen des § 17 InsO ein davon abgrenzbarer Anwendungsbereich des § 18 InsO in der Zeit vor und nach Ablauf des dreiwöchigen Prognosezeitraums. Ist der Schuldner innerhalb dieses Prognosezeitraums nicht in der Lage, seine Liquiditätslücke zu schließen, ist er am Stichtag bereits zahlungsunfähig, so dass sich die Frage einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr stellt. Ergibt die Liquiditätsprüfung hingegen, dass er seine Liquiditätslücke innerhalb dieser Frist schließen kann, gilt der Schuldner zum Stichtag als zahlungsfähig. Da ihm innerhalb der drei Wochen auch genügend liquide Mittel zur Deckung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung stehen, droht für diesen Zeitraum auch keine Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO. Sowohl vor als auch nach Ablauf des Prognosezeitraums stellt sich aber die Frage, ob dann ggf. mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 Rn. 10; Beschluss vom 5. Februar 2015 - IX ZR 211/13, ZinsO 2015, 841 Rn. 13) von einer in Zukunft drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO auszugehen ist, weil später mit einer erheblichen, nicht mehr schließbaren Liquiditätslücke zu rechnen ist (vgl. Bork, ZIP 2008, 1749, 1752; Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 175; Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2013, S. 153).

Zudem spricht in systematischer Hinsicht gerade der Umstand, dass eingetretene und drohende Zahlungsunfähigkeit aufeinander bezogene Insolvenzgründe sind (BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 Rn. 10; Urteil vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rn. 11), dafür, zur Vermeidung von Brüchen auch im Rahmen von § 17 InsO die innerhalb des Dreiwochenzeitraums fällig werdenden Verbindlichkeiten einzubeziehen (vgl. Ganter, ZinsO 2011, 2297, 2301 f.; Prager/Jungclaus in Festschrift Wellensiek, 2011, S. 101, 116).

(4) Auch das in der Gesetzesbegründung zur Insolvenzordnung zum Ausdruck kommende Regelungsziel des Gesetzgebers spricht für eine Einbeziehung der Passiva II.

Ziel des Gesetzgebers war es, mit der Insolvenzordnung eine gegenüber der Konkursordnung frühzeitigere Verfahrenseröffnung zu erreichen, um damit die Sanierungsmöglichkeiten zu verbessern oder - falls das Vermögen liquidiert werden muss - die Insolvenzmasse weitgehend zu erhalten und bessere Verwertungsergebnisse zu erzielen, eine rechtsstaatlich korrekte gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten und die Rechte etwaiger Arbeitnehmer und den Schutz des Rechtsverkehrs zu wahren (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 80 f.).


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Verfasser: Hermann Kulzer MBA, Fachanwalt für Insolvenzrecht
02.06.2013 Beseitigung der Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähgikeit
Information Wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung einmal eingetreten ist, hat der Bundesgerichtshof Ende 2012 den Nachweis der nachträglichen Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit verschärft.
  1. Die Zahlungen müssen im Allgemeinen wieder aufgenommen sein
  2. Einzelne Zahlungen an Gläubiger reichen nicht aus, sondern müssen an alle Gläubiger erfolgen
  3. Die Beweislast trägt derjenige, der die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit behauptet
  4. Keine Wiederherstellung der Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn dem Schuldner durch Befriedigung der gegenwärtigen Gläubiger die Mittel zur Begleichung alsbald fälliger Verbindlichkeiten fehlen

Für weitere Auskünfte zur Insolvenzanfechtung und Quellenangaben
stehe ich kompetent und professionell zur Verfügung.

Hermann Kulzer MBA
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Wirtschaftsmediator

kulzer@pkl.com
Tel:  0351 8110233
Fax:  0351 8110244

 

 

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Verfasser: Hermann Kulzer MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Writschaftsmediatior
01.03.2013 Vermutung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs.2 Satz 2 InsO
Information BGH, Urteil vom 15.3.2012 - IX ZR 239/09 durch vors Richter am BGH Prof. Dr. Kayser, Richter Vill, Richterin Lohmann und die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape:

Der Insolvenzverwalter macht gegen das beklagte Land im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähransprüche wegen Steuerzahlungen gemäß § 133 geltend.
1. Vermutung der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz
Die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners wird nach § 133 Abs.1 Satz 2 InsO vermutet wird, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
a) Vermutung der Zahlungsunfähigkeit
Die Zahlungsunfähigkeit wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermutet, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Diese Vermutung gilt auch im Rahmen des § 133 Abs.1 Satz 2 InsO. Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01).
Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen.
Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus.  Eine Darlegung und Feststellung der genannten Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 v. H. bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, Rn. 13).
Prüfschritt 1:
Das Gericht muss feststellen, ob die Gemeinschuldnerin bei der angefochtenen Rechtshandlung ihre Zahlungen bereits eingestellt hat
Folge 1
: Eine eingetretene Zahlungseinstellung kann nur wieder beseitigt werden, indem der Schuldner alle Zahlungen wieder aufnimmt. Dies hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, Rn. 32 .
Prüfschritt 2:
Einstellung muss dauerhaft gewesen sein.
Folge 2: Liegt eine fortdauernde Zahlungseinstellung vor, begründet dies die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit. Dies muss vom Beklagten widerlegt werden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rdz. 12 und BGH vom 21.06.2007 Rdz. 27.)
b) Gläubigerbenachteiligung
Der Beklagte muss von der Existenz anderer Gläubiger gewusst haben.
Dann weiss der Beklagte auch von der Gläubigerbenachteiligung (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 169/02; HK-InsO/Kreft, 6. Aufl., § 133 Rn. 22). 

2. Widerlegung der Vermutung durch den Beklagten
a) Die Vermutung des § 133 Abs.1 Satz 2 InsO bewirkt eine Umkehr der Beweislast.
Ist der Vermutungstatbestand des § 133 Abs.1 Satz 2 InsO gegeben, obliegt dem Anfechtungsgegner der Gegenbeweis.
Dieser hat sich auf die Vermutungsfolge zu beziehen, also die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung. Der Anfechtungsgegner muss deshalb darlegen und beweisen, dass entweder die Gemeinschuldnerin nicht mit Benachteiligungsvorsatz handelte oder dass er, der Anfechtungsgegner, nichts von dem Anfechtungsvorsatz wusste.
Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung zahlungsunfähig, handelt er nur dann nicht mit dem Vorsatz, die Gesamtheit der Gläubiger zu benachteiligen, wenn er aufgrund konkreter Umstände mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann (BGH, Urteil vom 24. Mai 2007, Rn. 8).
b) Der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009  - IX ZR 173/07 in ZIP 2009, 2253 Rdnr. 10.
c) Liegt eine Zahlungseinstellung vor, wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet, dass nicht lediglich Zahlungsunwilligkeit, sondern Zahlungsunfähigkeit vorliegt.
Die Zahlungsunfähigkeit kann vom Prozessgegner widerlegt werden z.B. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens oder durch Vernehmung von Zeugen, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgebenden Zeitraum für den Schuldner eine Deckungslücke von weniger als 10 v. H. auswies (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 144 ff; vom 30. Juni 2011, Rn. 20). Prüfschritt 3
Diesen Beweis muss der Beklagte antreten. Wenn dieser Beweis angetreten wird, muss er vom Gericht erhoben werden.
d) Eigene Erklärungen
Eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rdnr. 15).
(Bemerkung: Im entschiedenen Fall wurden mehrfache derartige Erklärungen gegenüber dem Finanzamt abgegeben).

Auszug aus der Entscheidung (BGH, Urteil vom 12. 10. 2006 - IX ZR 228/03; OLG Hamburg):
Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich also mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen ( BGH, Urt. v. 9. Januar 2003 - IX ZR 175/02; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 25).
Eigene Erklärungen des Schuldners, eine fällige Verbindlichkeit nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind (vgl. BGH, Urt. v. 4. Oktober 2001 - IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097, 2098; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 30).  Eine solche Erklärung kommt in den Schreiben der Schuldnerin vom 12. April 2000 an die Sozialversicherungsträger zum Ausdruck. In den Schreiben ist zwar ausgeführt, dass die Schuldnerin auf Zahlungseingänge warte. Es wird aber auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die Eingänge jedenfalls nicht bis zur Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge am 15. April 2000 zu erwarten seien, eine Zahlung bei Fälligkeit also keinesfalls erfolgen könne, sondern nur drei monatliche Raten jeweils zum Monatsende angeboten werden könnten. Die Schuldnerin war demzufolge gerade nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge binnen drei Wochen nachzukommen.

Das Urteil hatte daher keinen Bestand und war aufzuheben.
Das Gericht wird zu prüfen haben, ob dem Beklagten mit den von ihm angebotenen Beweismitteln der Gegenbeweis zu der gesetzlichen Vermutung des § 133  Abs. 1 Satz 2 InsO gelingt. Sofern dies nicht der Fall ist, sind die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen zu prüfen.



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Verfasser: Hermann Kulzer MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
20.03.2010 Wann ist eine GmbH/ AG insolvent? Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit
Information Wann ist ein Unternehmen insolvent? Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen

1. Was bedeutet zahlungsunfähig bzw. Zahlungsunfähigkeit?
Nach der Legaldefinition in § 17 InsO ist ein Schuldner/Unternehmen zahlungsunfähig, wenn er/es nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt Zahlungsunfähigkeit in der Regel dann vor, wenn der Schuldner/in nicht in der Lage ist, seine/ ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen innerhalb von drei Wochen zu auszugleichen. Zielstellung der Insolvenzordnung ist es, das Insolvenzverfahren möglichst frühzeitig einzuleiten, um die Sanierungschancen und die Gläubigerbefriedigung innerhalb eines Insolvenzverfahrens unter Aufsicht des Insolvenzgerichts zu erhöhen.

2. Wie grenzt man Zahlungsunfähigkeit von Zahlungsstockung ab?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seiner Entscheidung vom 24.05.2005 klargestellt, dass eine geringfügige Zahlungsstockung noch keine Zahlungsunfähigkeit bedeutet. Beträgt die Deckungslücke 10% der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr, ist nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird. Beträgt die Deckungslücke weniger als 10%, ist regelmäßig zunächst von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10% erreichen wird. Diese 10%-Grenze stellt eine widerlegbare Beweislastregel und keine Entscheidungsregel für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit dar.

3. Was sind die rechtlichen Konsequenzen der Zahlungsunfähigkeit?
 ie Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 17 I Insolvenzordnung ein allgemeiner Eröffnungsgrund für das Insolvenzverfahren, ein sogenannter Insolvenzantragsgrund. Für Geschäftsführer/ Vorstände von Kapitalgesellschaften besteht bei Vorliegen des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit die Pflicht einen Insolvenzantrag zu stellen. ( Beachte: auch die Überschuldung ist ein Insolvenzgrund). Der Insolvenzantrag ist spätestens innerhalb von drei Wochen zu stellen. Die Dreiwochenfrist darf nur dann ausgeschöpft werden, wenn die Beseitigung des Zahlungsunfähigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfolgreich abgeschlossen werden kann. Der Geschäftsführer/Vorstand der verpasst, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen, risikiert strafrechtliche und persönliche zivilrechtliche Inanspruchnahmen. Strafrechtlich spricht manbei verspäteter Insolvenzantragsstellung von Insolvenzverschleppung. Der Geschäftsführer, der wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung verurteilt wird, darf 5 Jahre nicht mehr Geschäftsführer/Vorstand sein. Zivilrechtlich haftet der verschleppende Geschäftsführer/Vorstand auch für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit persönlich.

4. Was sind die organisatorischen Pflichten des Geschäftsführers/Vorstands?
In Phasen der Krise haben die Verantwortlichen des Unternehmens die Zahlungsfähigkeit laufend zu überprüfen durch einen vollständigen und aussagekräftigen Finanzstatus sowie einen rollierenden Liquiditätsplan (Finanzplan). Der Geschäftsführer/Vorstand muss immer einen Überblick über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens haben und muss bei Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig den Insolvenzantrag stellen. Im Insolvenzfall hat der Geschäftsführer die Beweislast, dass er die Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht schuldhaft verschleppt hat. Eine für Dritte nachvollziehbare Dokumentation ist daher unablässig. Weil die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit auch auf Annahmen und Einschätzungen beruht (Zahlungseingänge, Chancen zur Beseitigung der Insolvenzgründe) sollte die Geschäftsleitung regelmäßig einen unabhängigen sachverständigen Dritten hinzuziehen.

5. Prüfungsschritte zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit/Zahlungsunfähigkeit

1.Schritt: Erstellung eines Finanzstatus / Erfassung der relevanten Werte Frage 1: Welche fälligen Verbindlichkeiten bestehen und welche liquiden Mittel sind vorhanden? Es muss ein Finanzstatus erstellt werden. Dazu erfolgt aus dem Rechnungswesen eine inventarmäßige Erfassung aller verfügbaren liquiden Finanzmittel. Auf der Passivseite werden alle fälligen Verbindlichkeiten erfasst.

2. Schritt: Berechnung Liquiditätslücke Frage 2: Wie hoch ist die Lücke der nicht durch liquide Finanzmittel gedeckten fälligen Verbindlichkeiten? Die liquiden Finanzmittel werden von den fälligen Verbindlichkeiten abgezogen. Die Differenz nennt sich Deckungs- oder Liquiditätslücke, d.h. die liquiden Mittel reichen nicht aus um die fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen. Bestand der fälligen Verbindlichkeiten in Euro abzüglich Bestand liquide Mittel in Euro ergibt Deckungslücke (-) in Euro, Im Verhältnis zu den fällligen Gesamtverbindlichkeiten ergibt sich die Deckungslücke in Prozent . Ab 10 % besteht die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit.

3. Schritt: Erstellung Finanzplan/ Ermittlung der Über bzw- Unterdeckung Frage 3: Kann die Liquiditätslücke im Normalverlauf innerhalb von drei Wochen beseitigt werden? Besteht eine Liquiditätslücke muss ein Finanzplan erstellt werden, zunächst für drei Wochen. Darstellung der Ein- und Auszahlungen innerhalb der nächsten drei Wochen unter Berücksichtigung des Zahlungsmittelbestands im Beurteilungszeitpunkt. Ermittlung der Über- bzw. Unterdeckung.

4. Schritt: Darstellung der Ausgleichsmaßnahmen / Ermittlung des Zahlungsmittelbestands unter Berücksichtigung von Ausgleichsmaßnahmen Frage 4: Mit welchen Ausgleichsmaßnahmen kann eine Zahlungsunfähigkeit innerhalb der Dreiwochenfrist beseitigt werden? Kann die Zahlungsunfähigkeit kalkulatorisch nicht innerhalb der Drei-Wochenfrist ausgeglichen werden, müssen Ausgleichsmaßnahmen zur Liquiditätssicherung geprüft und dargestellt werden: Erhöhung der Liquidität durch Kreditaufnahme Erhöhung der Liquidität durch Eigenkapitalerhöhung Erhöhung der Liquidität durch Mezzaninekapital ua. Reduzierung der fälligen Verbindlichkeiten durch Stundung von Forderungen Reduzierung der fälligen Verbindlichkeiten durch Verzicht auf Forderungen.

5. Schritt: Fortschreibung des Finanzplans Frage 5: Kann die Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise nach Ablauf der Dreiwochenfrist sicher ausgeglichen werden? Wenn die Planung für den Dreiwochenzeitraum die Deckungslücke schließt, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Es besteht aber die fortlaufende Überprüfungspflicht über den Eintritt der Planung und Korrektur der Ansätze bei Veränderungen. Wenn nach dem Dreiwochenzeitraum eine Deckungslücke von mehr als 10 % der Gesamtverbindlichkeiten verbleibt, ist die Fortschreibung des Finanzplans erforderlich. Die Deckungslücke muss innerhalb „überschaubarer Zeit“ geschlossen werden können. Dieser Zeitraum kann bis zu drei Monate betragen, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke in dieser Zeit vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern gegen ihren Willen ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Wenn die Deckungslücke weniger als 10 % der Gesamtverbindlichkeiten beträgt, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn nicht die Deckungslücke demnächst 10 % oder mehr beträgt oder die Deckungslücke im Planungszeitraum nicht vollständig beseitigt werden kann.

6. Was muss das Strafgericht bei Zahlungsunfähigkeit prüfen?
Das Gericht darf sich nicht auf die Mitteilung der Summen aus dem Liquditätsstatus beschränken, sondern muss alle relevanten kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten und die zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mittel (also die flüssigen Mittel und kurzfristig einziehbaren Forderungen sowie gegebenenfalls die kurzfristig liquidierbaren Vermögensgegenstände) darstellen(vgl. § 17 Abs. 2 InsO und BGH wistra 2007, 312; 2001, 306, 307; Müller-Gugenberger/Bieneck aaO § 76 Rdn. 57 ff.). Lückenhafte Feststellungen des erstinstanzlichen Strafgerichts z.B. zu „Stillhalteabkommen“ führen zu einer Aufhebung des Urteils, weil sie keine Nachprüfung zulassen, ob die Verbindlichkeiten im Liquiditätsstatus berücksichtigt werden müssen oder nicht. Die Feststellungen des Gerichts müssen genaue Zeitpunkte etwaiger Fristen und Stundungen enthalten. Müller-Gugenberger/Bieneck § 76 Rdn. 57, 62; BGH wistra 2007, 312).

7. Auszug eines Urteils
Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO (vgl. dazu BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 2) ist hier ausreichend - auch mit Blick auf das Geständnis des sachkundigen Angeklagten - durch die vom Landgericht angeführten "wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen" (vgl. dazu BGH wistra 2003, 232 m.N.; zum Inhalt eines Liquiditätsstatus BGH wistra 2001, 306, 307; Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 76 Rdn. 57 ff.) für den Zeitraum ab Ende Juli 2001 belegt. Es ist nicht von einer bloßen Zahlungsstockung im Zeitraum Juli/August 2001 auszugehen. Denn dem Gesamtgeschehensablauf (insbesondere UA S. 25) ist zu entnehmen, dass die geleisteten Baukostenvorschüsse alsbald verbraucht waren und die Zahlungsfähigkeit nicht dauerhaft wiederherstellen konnten. Bereits ab Oktober 2001 bezahlte die R. wiederum nicht die Subunternehmer, die daraufhin erneut die Baustelle verließen.

8. Hinweise
Die Prüfung der Zahlungsfähigkeit/Zahlungsunfähigkeit ist eine Aufgabe, die viel Sorgfalt und die Offenlegung aller wesentlicher Daten bedürfen. Dritte können Hilfestellung leisten bei der Ermittlung der Grundlagen zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit und bei der Erstellung des Finanzstatus und des Finanzplans. Prüfungsstandards bestehen und müssen eingehalten werden. Vorstehende Auskünfte haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und permanente Aktualisierung. Sie ersetzen in keinsterweise die persönliche Beratung z.B. durch Wirtschaftsprüfer oder Fachanwälte für Insolvenzrecht, die in Krisensituationen zwingend erforderlich ist.

Hermann Kulzer MBA
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Rechtsanwalt
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Verfasser: Hermann Kulzer, Fachanwalt für Insolvenzrecht
07.09.2007 Feststellung der Zahlungsunfähigkeit: Berücksichtigung nur ernsthaft eingeforderter fälliger Forderungen
Information Leitsätze des Gerichts:

1. Eine Forderung ist in der Regel dann im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt.

2. Forderungen, deren Gläubiger sich für eine Zeit vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit einer späteren oder nachrangigen Befriedigung einverstanden erklärt haben, sind bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zu berücksichtigen.

BGH, Beschluss vom 19.07.2007-IX ZB 36/07(LG Hannover)

Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO). Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er mangels eine objektiven, kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen( vgl. § 17 Abs.2 Satz1 InsO).
Im Zivilrecht wird mit Fälligkeit derjenige Zeitpunkt bezeichnet, von dem ab der Gläubiger die Leistungen fordern kann. Zivilrechtlich ist die Fälligkeit einer Forderung Voraussetzung für den Schuldnerverzug. Insolvenzrechtlich geht es demgegenüber um den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, von dem an der Übergang von Einzelzwangsvollstreckung zur Gesamtvollstreckung zu erfolgen hat. Das Vermögen des Schuldners, das nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht, soll im Rahmen eines geordneten Verfahrens gleichmäßig unter diese verteilt werden, um einen weiteren Wettlauf der Gläubiger im Rahmen des der vom Prioritätsprinzip geprägten Einzelzwangsvollstreckung zu verhindern.
Zahlungsunfähigkeit wurde in der Konkursordnung in § 102 als das auf einem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Schuldners verstanden, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen, wenn und soweit die Gläubiger diese Forderungen "ernsthaft einforderten"(z.B. BGHZ 118, 171, 174=ZIP 1992, 778,779).
Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Entwurf auf die Merkmale der Dauer und der Wesentlichkeit bewusst verzichtet hat. Mit der bis dahin ergangenen Rechtsprechung zum "ernsthaften Einfordern" befasst sich die Begründung des Regierungsentwurfs mit keinem Wort.

Die Forderung eines Gläubigers, der in spätere oder nachrangige Befriedigung eingewilligt hat, darf nicht berücksichtigt werden auch wenn keine rechtlich verbindliche Vereinbarung getroffen worden ist oder die Vereinbarung nur auf die Einrede des Schuldners berücksichtigt würde und vom Gläubiger einseitig aufgekündigt werden könnte.
Das Insolvenzgericht hat im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs.1InsO) Tatsachenbehauptungen des Schuldners oder anderen Anhaltspunkten nachzugehen, die konkret als möglich erscheinen lassen, dass der Gläubiger sich dem Schuldner gegenüber mit einer nachrangigen Befriedigung unter-sei es auch zeitweiligen -Verzicht auf staatlichen Zwang einverstanden erklärt hat (vgl. BGH ZIP 1998, 2008).
Eine Stundungsvereinbarung kann auch formfrei getroffen werden.
War ein Darlehnsgeber mit der Rückzahlung des Darlehns nach einem bestimmten Ereignis einverstanden, war die Forderung schon nach den allgemeinen Grundsätzen ( § 271 BGB) nicht fällig.
Grundsätzlich sind in die zur Prüfung der Voraussetzungen des § 17 InsO zu erstellende Liquiditätsbilanz( vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2006 IX ZR 228/03 ZIP 2006, 2222 mit Besprechung Hölzle, ZIP 2007, 613) nur die aktuell verfügbaren liquiden Mittel und die kurzfristig verwertbaren Vermögensbestandteile aufzunehmen, überlicherweise Bankguthaben, der Kassenbestand, der PKW und die monatlich zu erwartenden Zahlungen.
Die nach einer Eröffnung zu erwartenden Ansprüche aus anfechtbaren Rechtshandlungen dürfen im Rahmen des § 17 InsO unter keinem denkbaren Gesichtspunkt bereücksichtigt werden ( vgl. BGHZ 169, 17=ZIP 2006, 1957=NZI 2006,693, 694).

Auf Antrag des Schuldners kann die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bis zur erneuten Entscheidung ausgesetzt werden. Die Aussetzung kommt dann in Betracht, wenn durch die Vollziehung dem Beschwerdeführer größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Fall der Aufschiebung der vom Insolvenzgericht beschlossenen Maßnahmen und wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat ( BGHZ 169, 17=ZIP 2006, 1957=NZI 2006, 693,696).
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Verfasser: Hermann Kulzer, Fachanwalt für Insolvenzrecht
17.09.2005 Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung
Information § 17 InsO; § 64 Abs. 2 GmbHG

Zur Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung/
Beginn der Zahlungsunfähigkeit:

Leitsätze des BGH:

1. Eine bloße Zahlungstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend.
2. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.

3. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

BGH, Urt. v. 24.5.2005 - IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, ZIP 2005, 1426; ZInsO 15/2005 S. 807 ff.; DZWIR 2006, S. 25 ; vgl zu der Entscheidung die Besprechung von Smid in DZWIR 2006, S. 1 ff.
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Verfasser: Hermann Kulzer, Fachanwalt für Insolvenzrecht
20.08.2003 Wann liegt Zahlungsunfähigkeit vor ?
Information Die meisten Geschäftsführer verkennen die Definition von Zahlungsunfähigkeit.
Die Definition der Zahlungsunfähigkeit findet sich in der Insolvenzordnung.
Viel früher als oft eingeschätzt liegt bereits eine Zahlungsunfähigkeit vor, mit zum Teil fatalen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen.   Ansehen
pdf anzeigen
Verfasser: Hermann Kulzer, Fachanwalt für Insolvenzrecht
22.07.2003 Zahlungsunfähigkeit /Kennenmüssen
Information InsO § 130 Abs.2
Leistet der Schuldner, der mit seinen laufenden steuerlichen Verbindlichkeiten seit mehreren Monaten zunehmend in Rückstand geraten ist, lediglich eine Teilzahlung und bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er in Zukunft die fälligen Forderungen alsbald erfüllt, so kennt die Finanzverwaltung in der Regel Umstände, die zwingend auf die Zahlungsunfähgikeit des Schuldners schließen lassen.
( Amtlicher Leitsatz des BGH, Urt. v. 09.01.2003 - IX ZR 175/02 in InVo 7/2003 S. 272 )
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Verfasser: Kulzer, Fachanwalt für Insolvenzrecht

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